Brunnen
Das Hauptereignis im Gartenjahr 2011 war natürlich der Bau unseres Ilias-Brunnens mit der trojanischen Seherin Kassandra, Tochter des König Priamos und der Hekabe, Schwester von Hektor, Polyxena, Paris, Troilos und Zwillingsschwester des trojanischen Prinzen Helenos. Dieser soll ebenfalls seherische Gaben gehabt haben. Er wurde von Odysseus gefangen genommen und hat diesem die Schnapsidee mit dem Holzpferd verraten. Nach dem Krieg wurde Helenos Gefangener von Neoptolemos, Sohn des Achilleus.
Um Kassandra zu erobern schenkte Apollon ihr die Gabe der Vorhersehung. Das nützte ihm aber nichts. Sie ließ sich nicht erobern. Deshalb fügte der Gott seinem Geschenk hinzu, dass niemand Kassandras Vorhersagen Glauben schenken durfte. Dadurch wurde Troja mit einem griechischen Holzpferd erobert. Kassandra wurde im Tempel der Athene von Ajax dem Lokrer vergewaltigt. Agamemnon nahm sie schließlich als Sklavin mit nach Mykene, wurde dort allerdings von seiner Frau Klytämnestra und ihrem Geliebten Aigistos im Bad erdolcht. Klytämnestra erdolchte auch Kassandra. Das hatte diese vorausgesehen.
Nach Neoptolemos' Tod verband sich Helenos mit der Sklavin Andromache, Witwe seines Bruders Hektor. Er überlebte den Trojanischen Krieg und gründete eine Kolonie in Epirus, wo er auch Aeneas kurze Zeit beherbergte. Dieser, Sohn der Venus, war ein trojanischer Prinz aus einer Nebenlinie des Herrscherhauses und Anführer der alliierten Dardaner. Nach Hektor galt Aeneas als der Tapferste der Trojaner. Nach etlichen Nachkriegsirrfahrten, wir wissen das aus Vergils Aeneis, wurde Aineias von Latinus, dem König von Latium, freundlich aufgenommen. Er schnappte sich dessen Tochter Lavina, natürlich nicht, ohne zuvor deren Bräutigam Turnus ausgeschaltet zu haben. Lavina zu Ehren gründete Aeneas die Stadt Lavinium. In einem Kampf wurde Aeneas in den Olymp versetzt und zum Gott Juppiter Indiges erklärt. Später gründete Aeneas' Sohn Iulus die Stadt Alba Longa. Nachfolger seines Bruders Iulus als König von Alba wurde Silvius. Nach meiner Zählung 13 oder 14 Generationen später brachten die Könige von Alba, die sich alle mit dem Cognomen Silvius zierten, die Zwillinge Romulus und Remus hervor, die Gründer Roms. Durch sie gilt Aeneas als Ahnherr des römischen Volkes. Zurück zu Kassandra: Ein anderer Bruder, der Vollidiot Paris, war ja Auslöser des ganzen Krieges. Nur weil sie ihm die schöne Helena versprochen hatte, überreichte er der Aphrodite den Apfel der Eris als der Schöneren vor Hera und Athene. Und weil Helena mit Melanos, dem Prinzen von Mykene und späterem König von Sparta, verheiratet war, gab es natürlich Zoff. Troilos wurde von Achilleus der Kopf im Heiligtum des Apollon abgeschlagen. In "Troilus und Cressida" hat sich Shakespere darum jedoch nicht gekümmert. Der Grieche Achilles hatte sich vergebens in Polyxena verliebt, weil diese als Priesterin Athenes Jungfrau bleiben musste. Sie wurde später am Grabe Achilleus' erdolcht. Kassandras ältester Bruder, der Volksheld Hektor, wurde schließlich auch von Achilles zur Strecke gebracht, allerdings nicht ohne die listige Mithilfe von Athene. Achilleus rückte Hektors Leichnam zunächst nicht raus, bis Zeus himself Achilles Mutter Thetis beauftragte, ihren Sohn zur Vernunft zu bringen. Achilleus hatte endlich Mitleid und übergab den toten Hektor dessen Vater Priamos. Die Ilias endet dann mit einer elftägigen Trauer der Trojaner um Hektor. Achilleus Mutter Thetis war übrigens eine Meernymphe. Sie hatte ihren Sohnemann in den Unterweltfluss Styx getunkt, wodurch er am ganzen Körper unverwundbar geworden wäre, hätte Thetis auch die Ferse richtig nass gemacht. Später schoss der Vollidiot Paris, versteckt hinter einer Säule, mit dem Flitzebogen auf Achilles, der von den Trojanern hereingelegt wurde, da ihm vorgegaukelt wurde, er solle zur Vermählung mit Polyxena geführt werden. Apollo lenkte den Pfeil so, dass er die Achillesferse todbringend traf. Die Hacke explodierte vermutlich und zerriss Achilleus, oder so ähnlich. Jedenfalls war er dann tot, kam genau in das Grab, an dem Polyxena später erdolcht werden sollte (s. o.) und in dem auch sein homosexueller Freund und Vetter Patroklos ruhte. Der war von Hektor erschlagen worden, weil er glaubte, Achilles getötet zu haben. Patroklos hatte nämlich dessen Rüstung getragen. Der Tod des Patroklos hatte Achilles so wütend gemacht, dass er Hektors Leiche tagelang hinter seinem Streitwagen her um den Grabhügel des Homos herum schleifte. So viel zum Hintergrund unseres Brunnens, den wir ob seiner Blutrünstigkeit in Rottönen gehalten haben.
Unsere Brunnenfigur aus Bronze ist 109 cm hoch. Sie stellt Κασσάνδρα „die, die Männer umwickelt“, dar und wurde von dem international bekannten Künstler Guido Mariani aus Monza gestaltet. Eine Vielzahl von lebensgroßen Figuren, die Plätze und Bauwerke in vielen Städten Europas zieren, zeugen von der Beliebtheit des Meisters, der sich auch der Interpretation weiblicher Schönheit zuwandte. Seine Arbeiten lassen den Betracher erkennen, dass Schönheit nie versiegt. Wir finden sie verwirklicht in der Anmut und dem weiblichen Stolz, von dem seine Arbeiten beseelt sind. Sein Studio hat der Künstler heute in Mailand.
Mit der Planung des Brunnens hatten wir bereits im September 2010 begonnen. Ein Stück Gartenschlauch markiert Umfang und Lage des Brunnenbeckens im Garten. Die Idee war, dass die Zentren der drei Kreise des Liegeplatzes, der Wegegabelung und des Brunnens durch ein gleichschenkliges Dreieck verbunden sind.
Nach einem langen kalten Winter fand am 23. März 2011 endlich der erste Spatenstich statt.
Dem ersten Spatenstich folgte der erste Baggeraushub.
Trotz Minibaggers war viel Körpereinsatz verlangt,
während wir uns mehr auf "Betreuung" konzentrierten.
Als das Brunnenloch die geforderten Maße erreicht hatte, musste der Boden verfestigt werden.
Nach der Mittagspause wurde Kies aufgeschüttet. Die "Planie" wurde sorgfältig zubereitet.
Wichtig: die Planie musste exakt "im Wasser" sein!
Am 28. März 2011 wurde der für uns hergestellte Zylinderring aus CORTEN-Stahl (COrrosionResistance TENsile strength) geliefert. CORTEN-Stählebilden auf der Oberfläche durch Bewitterung, unter der eigentlichen Rostschicht, eine besonders dichte Sperrschicht aus festhaftenden Sulfaten oder Phosphaten aus, welche das Bauteil vor weiterer Korrosion schützt. Der Ring wird die Innenwand des Brunnens bilden. Er gleicht in der Farbe den Porphyr-Steinen und -Platten, die ebenfalls verbaut werden sollten.
Gleichzeitig wurde auf der anderen Seite unseres Hauses die 4,5 t schwere, aus einem Stück gegossene Betonzisterne mit ca. 2,5 m Innendurchmesser vorgefahren.
Die Seminarstraße wurde von der Polizei vorübergehend gesperrt, als ein riesiger Kran in Stellung gebracht wurde.
Dann ging die Zisterne auf ihre Flugreise in das vorbereitete Brunnenloch.
So haben unsere Nachbarn vom Deichelweiherweg den Zisternenflug von ihrem Haus aus gesehen!
Das sieht nach einer Punktlandung aus.
Präzisionsarbeit von Fachleuten!
Am 29. März 2011 wurde der Boden des Brunnens mit Porphyr-Steinen gepflastert.
An Leerrohre für Elektrokabel musste rechtzeitig gedacht werden! Man erkennt auch, dass der Spalt zwischen Zisterne und Boden mit Beton ausgefüllt wurde, damit sich später die oben verlegten Porphyr-Platten nicht senken können.
Blick auf den noch unverfugten Brunnenboden und den CORTEN-Ring.
Der Brunnenboden ist jetzt mit grauem Adurit verfugt.
Am 4. April 2011 wurde der CORTEN-Zylinder eingebracht. Die Streben zur Transportstabilisierung wurden später abgeflext. In der Nacht zuvor hatte es geregnet. Somit verfügten wir über unser erstes Brunnenwasser.
Mit der polygonen Verlegung der Randplatten aus Porphyr wurde am
7. April 2011 begonnen.
Es folgte die Montage des zentralen CORTEN-Zylinders mit später gefluteter Abschlussplatte. Der Zylinder steht für den Wassereinlass auf Abstandhaltern und hat ein verschraubtes Türchen, durch welches die Umwälzpumpe im Innern erreichbar ist, oder andere zukünftige Installationen, falls sie notwendig werden sollten.
Kassandra darf zum ersten Mal zur Probe auf ihrer noch trockenen Platte stehen.
Jetzt ist Kassandra fest und diebstahlsicher montiert. Die Begrenzungsplatten sind noch nicht verfugt, weil deren Verklebung erst abbinden muss.
Die Grasnarbe musste angepaßt werden, weil zwar der Brunnen "im Wasser" war, aber nicht der ganze Rasen.
Am 8. April 2011 um 14.42 Uhr war es so weit: die erste Füllung unseres Brunnens konnte beginnen.
Rasimir interessiert sich sehr für den ebenerdigen Brunnen. Eine Induktionsschleife rund um den Brunnen hindert unseren Automower aber am Baden. Im Bild erkennt man auch die Verfugung der Randplatten.
Und so ist unser Kassandra-Brunnen im Garten platziert!
Hätten wir die Fachliteratur rechtzeitig studiert, wären uns große Enttäuschungen erspart geblieben! Die oben erwähnte Sperrschicht im CORTEN-Stahl entsteht erst nach Jahren an der Atmosphäre in ständigem Wechsel zwischen feucht und trocken; im Wasser aber nie. So war es kein Wunder, dass sich das Brunnenwasser schon nach jeweils einem Tag eintrübte. Was passierte, wurde beim Auspumpen des Brunnenbeckens offensichtlich. Es half nichts: Der Stahlzylinder mußte wieder ausgebaut werden. Zuerst war dazu die Porphyrumrandung zu entfernen.
Ein elementarer Schritt bestand darin, den Rost zu entfernen, der ja eigentlich mit seinem erwünschten Farbton zur Geltung kommen sollte. Es half aber nichts: Rost war nicht länger gefragt. Eine 2-Komponenten-Grundbeschichtung auf Epoxidharzbasis wurde als robuster Primer aufgetragen. Auf den Primer erfolgten drei weitere Anstriche mit einem widerstandsfähigen, lösemittelarmen Beschichtungsstoff auf der Basis einer eisenglimmerhaltigen Epoxidharz-Kunststoffkombination für Stahl, wie sie im Schiffbau und für Hafenanlagen verwendet werden. Auf die gleiche Weise wurde natürlich auch der Sockel für Kassandra behandelt, wobei alle Befestigungslaschen zum Verschrauben durch Edelstahl ersetzt wurden. Fünf starke Männer dirigierten den fertigen Zylinder ohne Beschädigungen oder Kratzer wieder in seine Grube, die zuvor gründlich gereinigt und von Flugrostbefreit worden war.
Den Winter 2011/2012 hatte unser Kassandra-Brunnen trotz des strengen Frostes sehr gut überstanden (s. Gartenjahr 2012). Aber im Frühjahr begann uns ein Mangel immer mehr zu stören. Im Mai wussten wir dann auch genau worin dieser Mangel bestand! Abgesehen davon, dass uns der mittlere Sockel immer noch zu rot war, waren sein Durchmesser und vor allem der Durchmesser der Platte, auf der Kassandra stand, viel zu groß. Die beiden Krüge ergossen sich nicht frei in den Brunnen, sondern auf die Platte, die nur etwas 5 cm hoch von Wasser bedeckt war. Jetzt im Frühjahr, wo die Luft noch sehr trocken war, verdunstete das Brunnenwasser schneller als im Sommer. Infolgedessen wurde die Wasserschicht über der Standplatte dünner. Der "Plätscherton" verwandelte sich in einen "Spritzton". Das durfte nicht so bleiben. Wir hatten schon so viel Lehrgeld gezahlt, nun wollten wir auch einen Brunnen haben, der unseren Vorstellungen entsprach.
Der neue Sockel hat den Grundriss eines Tetradekagons und besteht aus miteinander verklebten Porphyrsteinlamellen. Oben ist er mit einer kreisförmigen Porphyrplatte abgeschlossen. Im Bild ist eine Montageöffnung zu sehen, die Zugang zur Umwälzpumpe gewährt. Oben auf der Platte wird Kassandra stehen. Der Sockel wird aber nicht in der Mitte des Brunnens so stehen, wie er hier zu sehen ist, sondern er wird sozusagen über ein stählernes Gerüst gestülpt, das die Platte von Innen trägt, an der dann wieder der Mantel des Sockels hängt. Dadurch wird auch das Zuströmen des Wassers von Außen nach Innen ermöglicht. Der Sockel passt jetzt farblich genau zu den im Rasen verlegten Begrenzungsplatten.